Unterwegs in Athen
Gottesdienst am 25.07.1999

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
heute lade ich Sie ein, mitten in den Sommerferien einen Gemeindeausflug mit mir nach Athen zu machen. Es wird ein Kurzurlaub in die Vergangenheit der Stadt. Unser Reisebus erreicht den Marktplatz der Stadt. Eine kleine Menschenmenge steht zusammen. Wir stellen uns neugierig dazu. Was ist hier los? Worum geht es? Ein freundlicher Herr, der unsere Sprache spricht, klärt uns auf:
Was er uns sagt, steht in der Apostelgeschichte 17,16-34.

TempelWährend Paulus in Athen auf Silas und Timotheus wartete, war er im Innersten empört, weil die Stadt voll von Götzenbildern war. Er redete in der Synagoge zu den Juden und zu denen, die sich zur jüdischen Gemeinde hielten, und er sprach jeden Tag mit den Leuten, die er auf dem Marktplatz antraf. Darunter waren auch Philosophen der epikureischen und stoischen Richtung, die mit ihm diskutierten. Einige von ihnen meinten: "Was will dieser Schwätzer eigentlich?" Andere sagten: "Er scheint irgendwelche fremden Götter zu verkünden." Paulus hatte ihnen nämlich die Gute Nachricht von Jesus und der Auferstehung verkündet.  Sie nahmen ihn mit sich zum Areopag und wollten Näheres erfahren. "Uns interessiert deine Lehre", sagten sie. "Manches klingt sehr fremdartig, und wir würden gerne genauer wissen, was es damit auf sich hat." Denn die Athener und die Fremden in Athen kennen keinen besseren Zeitvertreib, als stets das Allerneueste in Erfahrung zu bringen und es weiterzuerzählen.
Paulus trat in die Mitte des Areopags und sagte:
"Ihr Männer von Athen! Ich sehe, daß es euch mit der Religion sehr ernst ist. Ich bin durch eure Stadt gegangen und habe mir eure heiligen Stätten angesehen. Dabei habe ich auch einen Altar entdeckt mit der Inschrift: 'Für einen unbekannten Gott'. Was ihr da verehrt, ohne es zu kennen, das mache ich euch bekannt. Es ist der Gott, der die Welt geschaffen hat und alles, was darin lebt. Als Herr über Himmel und Erde wohnt er nicht in Tempeln, die ihm die Menschen gebaut haben. Er ist auch nicht darauf angewiesen, von den Menschen versorgt zu werden; denn er selbst gibt ihnen das Leben und alles, was sie zum Leben brauchen. Er hat aus einem einzigen Menschen die ganze Menschheit hervorgehen lassen, damit sie die Erde bewohnt. Für jedes Volk hat er im voraus bestimmt, wie lange es bestehen und in welchen Grenzen es leben soll. Und er hat gewollt, daß die Menschen ihn suchen, damit sie ihn vielleicht ertasten und finden könnten. Denn er ist ja jedem von uns ganz nahe. Durch ihn leben wir doch, regen wir uns, sind wir! Oder wie es einige eurer Dichter ausgedrückt haben: 'Wir sind sogar von seiner Art.' Wenn wir Menschen aber von Gottes Art sind, dann dürfen wir nicht meinen, die Gottheit gleiche den Bildern aus Gold, Silber und Stein, die von Menschen mit ihrer Erfindungskraft und Kunstfertigkeit geschaffen wurden!  Nun, Gott ist bereit, mit Nachsicht über das hinwegzusehen, was ihr bisher aus reiner Unwissenheit getan habt. Jetzt aber fordert er alle Menschen überall auf, umzudenken und einen neuen Anfang zu machen.  Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er über die ganze Menschheit ein gerechtes Gericht halten will, und zwar durch den Mann, den er dazu bestimmt hat. Ihn hat er vor aller Welt dadurch ausgewiesen, daß er ihn vom Tod auferweckt hat." 
Als sie Paulus von der Auferstehung reden hörten, lachten ihn einige aus; andere sagten: "Darüber mußt du uns ein andermal mehr erzählen." Als Paulus darauf die Versammlung verließ, schlossen sich ihm ein paar Männer an und kamen zum Glauben, darunter Dionysius, der dem Areopag angehörte, außerdem eine Frau namens Damaris.

Der innere Antrieb
Zur Situation: Paulus ist allein nach Athen gekommen. Er wartet hier auf seine Begleiter Silas und Timotheus. Sie sind noch in Beröa zurückgeblieben. Paulus ist erst kurz in Europa. Ein Bote Gottes hatte ihn nach Europa gerufen, um dort die Botschaft von Jesus Christus zu verbreiten. Wenn ein Bote Gottes ruft, dann wird der Boden bereitet sein, so könnte Paulus gedacht haben, als er sich nach Europa aufmachte. Volle Versammlungen, viele Bekehrungen zu Jesus Christus, blühende Gemeinden - Erwartungen, die dieser Ruf in ihm geweckt haben könnte. Doch statt dessen erfährt er das krasse Gegenteil. In der ersten Stadt Philippi gerät er ins Gefängnis, in Thessalonich provoziert er einen Volksaufstand und muss fliehen, auch in Beröa geht es ihm nicht anders und er muss Hals über Kopf nach Athen weiterreisen. Paulus stößt überall auf Widerstand. Das Evangelium von Jesus Christus wird abgelehnt und nur wenige begreifen, dass es ihr Leben verändert.
Was mich beeindruckt: Paulus lässt sich durch diese Misserfolge nicht entmutigen. Er nimmt nicht das erst beste Schiff zurück nach Kleinasien. Nein, er macht auch in Athen weiter. Verantwortlich dafür ist sein Sendungsbewusstsein. Er ist Jesus persönlich begegnet. Er ist von ihm gerufen worden und er hat den Auftrag erhalten, diesen Jesus in aller Welt zu verkünden. Die Sicherheit, von Jesus beauftragt zu sein, ihn bei allem an der Seite zu wissen und in seinem Namen zu handeln gibt ihm die Kraft, immer neu auf Menschen zuzugehen und ihnen von Jesus Christus zu erzählen. Damit ist Paulus kein Sonderfall. Wem Jesus begegnet ist und wer sich in die Nachfolge des lebendigen Herrn hat rufen lassen, ist automatisch auch Diplomat im auswärtigen Dienst. Wo wir hinkommen, sind wir immer Gesandte Jesu - haben etwas herüber zu bringen von unserm Glauben und unserer Hoffnung. Paulus war Missionar. Er reiste umher und brachte das Evangelium in andere Kulturen. Aber auch die Frau, die tagtäglich an der Kasse im Supermarkt sitzt, ist Diplomatin im auswärtigen Dienst und bringt durch die kurzen Begegnungen an der Kasse etwas von ihrem Leben mit Jesus zu den Kunden herüber. Und selbst der Wissenschaftler in der Einsamkeit seiner Forschungsarbeit wird Botschafter Jesu, weil er das Erforschte im Zusammenhang seines Glaubens nie absolut setzen wird und sich seiner Verantwortung vor Gott bewusst bleibt. So zeigt uns Paulus in Athen wieder aufs Neue, dass wir mit ihm Diplomaten und Diplomatinnen im auswärtigen Dienst sind, beauftragt, Jesus in unserer Umgebung bekannt zu machen. Dadurch werden wir entlastet. Die Erfolgsquote ist nicht wichtig. Widerstand gehört dazu. So mag die Christin ihn ihrem Büro entmutigt sein. Seit fünf Jahren sitzt sie mit ihren Kollegen in einem Zimmer und noch keiner ist zum Glauben gekommen. Sie hat wichtige Gespräche geführt, sich um liebevolle Beziehungen bemüht, auf Wertschätzung geachtet und doch kein Erfolg. Paulus in Athen ermutigt sie zum Weitermachen. Sie ist Diplomatin der wichtigsten Sache der Welt. Sie vermittelt den Anschluss an Gott. Sie ist beauftragt, auch ohne sichtbaren Erfolg weiterzumachen. 

Erste Schritte in Athen
Paulus schaut sich die Athener genau an. Er findet sie sehr religiös. Sie nehmen ihre Götter ernst, bauen ihnen Kultstätten und Altäre. Die Leute fürchten sich vor den Gottheiten. Sie erwarten von ihnen Belohnung und Strafe. Sie rechnen mit ihrem überirdischen Eingreifen. Sie erfüllen ihre religiösen Pflichten und sie fühlen sich in dieser festen Ordnung zu Hause. Gottesverehrung ist ein wesentlicher Bestandteil des Lebens in Athen. Doch Paulus merkt, dass die Athener auch neugierig sind. Haben sie schon alles begriffen oder gibt es noch andere Formen der Gottesverehrung? Was gibt es Neues und kann es sich gegenüber dem Alten behaupten? Auf dem Marktplatz in Athen trifft Paulus auch Gebildete der berühmten griechischen Philosophenschulen. Sie bewegen Fragen nach dem Woher und Wohin des Lebens und auch nach dem Stellenwert der Götter im Leben des Einzelnen.
Auch das beeindruckt mich an Paulus. Er schaut sich genau an, wo er jetzt lebt. Als Diplomaten im auswärtigen Dienst ist das ja genau auch unsere Aufgabe. Was sehen wir denn, wenn wir unsere Umgebung anschauen? Stellen wir uns vor, wir liefen an einem Freitag zur Haupteinkaufszeit durch Neuenhain, durch Schwalbach oder wo immer Sie wohnen. Was sehen wir? 
Da sind Leute, die viel Wert auf ihre eigenen vier Wände legen. Üppige Blumenkästen schmücken die Wohnungen von außen, Schöne Häuschen und Villen säumen die Straßen und man hört, dass es in dieser Region besonders schwer ist, eine Wohnung zu bekommen. Aber kaum sieht man vor einem Haus eine Bank - man möchte in seinem Haus seine Ruhe haben und nicht auf der Bank vor dem Haus mit den Passanten plaudern. Diese Beobachtungen führen zur Erkenntnis, dass hier Menschen leben, die Geborgenheit und Schutz in ihren 4 Wänden brauchen. Der Alltag fordert sie. Das Heim ist Ruhepol und sichert ihre Privatsphäre. 
Da sind Leute, die sich viele Gedanken um die Zukunft ihrer Kinder machen. Sie wollen ihren Kindern einen optimalen Start ins Leben geben und nutzen jede Gelegenheit der Frühförderung und Ausbildung um nichts zu verpassen. Ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein kommt darin zum Ausdruck, aber auch die Angst, auf dem Abstellgleis zu landen. Diese Angst macht ruhelos und raubt den Nachtschlaf.
Wir werden auch Leuten begegnen, die eine Ahnung davon haben, nicht alles selbst im Griff zu haben. Die Mutter, die die Grenzen ihrer Erziehung schmerzhaft erfährt, der Angestellte, der sein Projekt brilliant entwickelt und am nächsten Tag werden die Gelder dafür ersatzlos gestrichen, die Ehefrau, die von ihrem Mann verlassen wird und bis zu dem Zeitpunkt nichts gemerkt hat und der Autofahrer, dem ein Kind ins Auto läuft, ohne dass er es verhindern konnte. Leute, die eine Ahnung haben, dass der Mensch nicht alles im Griff hat, und die doch den Zugang zu Gott nicht kennen oder längst verloren haben. 
Und dann werden uns in den Seitenstraßen noch ganz andere Leute begegnen, Leute, die abgestürzt sind und sich noch mit einer Wand an der steilen Klippe festhalten. Der Mann, der seit zwei Jahren nach Arbeit sucht, das Kind, das ohne Liebe und Halt auf der Straße aufwächst, das Pärchen, das seine Gemeinsamkeit in der Sucht hat.
Wahrscheinlich fallen Ihnen auch konkrete Menschen ein, denen Sie in Ihrem Umfeld begegnen. Wahrscheinlich gehören wir ja alle ein Stück weit dazu und erkennen uns selbst wieder. Für solche Leute wie uns ist Jesus da und möchte uns zu Gott rufen.
Paulus wanderte mit offenen Augen durch Athen. Ich möchte von ihm lernen, meine Augen offen zu halten. Die Botschaft, die ich als Diplomatin Gottes habe, muss zu den Menschen passen, die sie erreichen soll. Diplomaten und Diplomatinnen müssen die Landessprache beherrschen, sonst kommt ihre Botschaft nie an.

Anknüpfungspunkte in Athen
Paulus sucht nun Anknüpfungspunkte in Athen. Er geht zuerst in die Synagoge. Dort sind seine jüdischen Volksgenossen. Fernab der Heimat fühlen sie sich verbunden und pflegen ihre gemeinsamen Wurzeln und ihren gemeinsamen Glauben. Eigentlich ist es erstaunlich, dass Paulus sie besucht. Schließlich bekam er in Thessalonich und Beröa gerade mit seinen Volksgenossen Ärger. Aber auch hier erweist sich wieder, wie Paulus niemand aufgibt und Widerstände ihn nicht abschrecken können. Daneben spaziert er auch täglich über den Marktplatz. Er spricht die Leute an und macht sich mit ihnen bekannt. Bald schon werden die Gelehrten auf ihn aufmerksam. Die einen betiteln ihn als wörtlich "Körnerpicker", kein sehr schmeichelhafter Name. Damit meinen sie, dass er aus allen möglichen Lehren etwas herauspickt und seine eigene Lehre damit bastelt - neudeutsch würde man da von Patchwork Religion reden. Die anderen vermuten hinter seinen Ausführungen ein neues Götterpaar - Jesus und Anastasis (deutsch: die Auferstehung). Weil sie neugierig sind, laden sie Paulus vor ihre religiöse Behörde. Da hat Paulus Gelegenheit den Glauben an Jesus Christus ausführlich darzustellen. Uns ist seine Rede nur in Stichworten überliefert und allem Anschein nach kann Paulus sie auch nicht bis zu Ende bringen. Aber die wenigen Stichworte lassen uns doch erkennen, wie Paulus argumentiert. 
Er holt die Athener bei ihrer eigenen Gottesverehrung ab. Er erinnert sie an einen kleinen Altar für den unbekannten Gott. Die Athener hatten ihn wahrscheinlich aufgestellt aus Angst, einen Gott vergessen zu haben, der sich dafür rächen könnte. Und diesen unbekannten Gott füllt er nun mit Leben. Er erinnert die Athener an ihre Suche nach dem Göttlichen und sagt ihnen zu, dass Gott sich finden lässt. Und er spricht auch von Gottes Nähe, die er uns schenken will und die wir Menschen ablehnen. Durch Jesus Christus, so das Fazit, hat Gott einen neuen Anfang gemacht. Wer sich zu dem Auferstandenen hält, hat Gott gefunden und ist ihm nahe. Noch ist Zeit, sich ihm anzuvertrauen, doch das Gericht wird kommen und damit das Zu Spät für alle, die Jesus Christus nicht geglaubt haben. 
Paulus fand Anknüpfungspunkte in Athen, um seine Botschaft anzubringen. Übertragen auf unsere Situation sind wir auch zuerst in unsere Synagoge gerufen, das heißt zu den Menschen, die uns nahe stehen, mit denen wir verwandt sind und unter einem Dach leben. Darüber hinaus sind da die Menschen, denen wir täglich begegnen. Die Leute, die Schutz in den 4 Wänden brauchen, die sich um ihre Kinder sorgen, die nach Gott suchen oder am Abgrund hängen. Christen sind keine Stubenhocker, sondern sind unterwegs genau zu diesen Leuten in unserer Umgebung. Und wir können uns auf die Chance vorbereiten, wenn wir einmal Gelegenheit haben, über unseren Glauben zu sprechen. Paulus war ein geübter Redner, er brauchte kein Manuskript dafür. Aber Sie und ich, wir brauchen es hin und wieder und das ist nicht verwerflich. Auf so ein Gespräch können wir uns in aller Ruhe vorbereiten. Vielleicht an einem ruhigen Urlaubstag. Da führen wir einen stillen Dialog mit uns selbst: Warum glaubst du eigentlich? Was ist dir dabei das Wichtigste? Wie äußert sich dein Glaube in deinem Alltag? - Dieses wichtige Anliegen bringe ich mit aus Athen: Solche Gespräche vorzubereiten, im Gebet, vielleicht auch mal im Hauskreis, um dann die Chance zu ergreifen, die Gott mir zeigen wird.

Die Reaktion
Die europäische Niederlage setzt sich fort. Einige Zuhörer lachten. Totenauferstehung passte nicht in ihr Weltbild - der Mensch soll sich mit seinen göttlichen Erbanlagen gefälligst selbst erlösen. Einige Zuhörer hielten sich bedeckt. Ein andermal vielleicht mehr, aber so genau wollten sie es gar nicht wissen, niemand sollte sie aus der Ruhe bringen oder gar in Frage stellen. Wenige schlossen sich Paulus an. Unter ihnen war Dionysius, später wird er als erster Bischof von Athen erwähnt, und Damaris.
Es könnte der Main-Taunus-Kreis 1999 sein. Einige lachen doch auch über uns. Ein Professor behauptet, die Auferstehung Jesu sei nur erfunden, und alle Medien stürzen sich jahrelang darauf. Obwohl die These 100 Jahre alt ist und schon damals stichhaltig widerlegt wurde, verkauft es sich einfach gut, die Christen als naive Spinner zu enttarnen und die Kirchen der Volksverdummung zu bezichtigen. Einige halten sich bedeckt. Vor allem diese treffe ich oft. Ein begeisterter Anfang und wenn es ernst wird, dann doch lieber nächstes Jahr oder im Ruhestand. Wenige kommen zum Glauben. Auch das geschieht bei uns. Wir kennen Dionysius und Damaris, längst gehören sie zu uns. An der Türschwelle steht schon wieder ein Dionysius und eine Damaris, die darauf warten, hier aufgenommen zu werden. Für sie lohnt sich jeder Aufwand und jedes Gespräch. Und wie wir an Paulus sehen, selbst eine Reise nach Athen sollte nicht zu viel sein, um Dionysius und Damaris zu finden.

Cornelia Trick


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