Uns gehört das Himmelreich (Matthäus 5,1-10)
Gottesdienst am 25.2.2018 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
in einem Roman beschreibt der Schweizer Autor Gottfried Keller einen Jungen, der unterwegs ist, um das Notwendigste für die Familie zu erbetteln. Er kommt an einem herrschaftlichen Garten vorbei und schaut durch die Gitterstäbe des Zauns. Da entdeckt er ein Feld von duftenden wunderschönen blühenden Hyazinthen. Er will sie unbedingt pflücken und schleicht sich irgendwie in den Garten. Voller Glück bringt er sie nach Hause, selig den Duft einatmend. Er trägt das Himmelreich in den Händen. Zuhause weiß er, dass nun Stockhiebe auf ihn warten. Der Vater will etwas zu essen, keine nutzlosen Blumen. Doch er nimmt liebend gerne die Schläge in Kauf. Die Blumen erinnern ihn an eine andere Welt, nach der er sich sehnt.

Der Betteljunge sah in diesen Hyazinthen das Himmelreich. Sie standen für eine Gegenwelt zu seinem tristen, von Entbehrung gezeichneten Alltag. Sie waren für den Jungen wie ein Gruß vom Himmel: „Ich meine es gut mit dir“. Als er die Blüten in den Händen hielt, war er auf einmal der Bewohner dieses Gartens, nicht mehr der Bettler vor dem Zaun. Er gehörte dazu.

Jesus war mit seinen Jüngern unterwegs. Er wollte Menschen mit Gott in Verbindung bringen, sie in den Garten Gottes einladen. Er wollte ihren Blick weg vom Bettel-Becher hin zu blühenden Hyazinthen locken.

Allerdings war das nicht so einfach wie bei dem Jungen, der im Roman beschrieben wurde. Nicht jeder und jede hatten diese Sehnsucht in sich.

Fast jeden Tag liegen in unserer Tageszeitung Prospekte von Möbelhäusern. Bei uns wandern die direkt ins Altpapier. Wir haben die Wohnung eingerichtet, es fehlt uns kein Schrank, keine Couch und kein Bett. Wir fühlen uns wohl in unseren Möbeln. Also wozu dann Neue kaufen? Was müsste das Möbelhaus tun, dass ich nur einen Blick auf die Angebote riskiere?

So ähnlich ging es ja auch Jesus. Nicht alle Leute seiner Zeit waren unglücklich, am Existenzminimum und auf der Suche nach Veränderung. Es gab genug Menschen, die satt und zufrieden ihren Alltag lebten und sich von Jesus und seinen Aussagen eher gestört fühlten. Was also tat Jesus, um sie zu locken?

Gleich am Anfang seiner Schaffensperiode, so der Evangelist Matthäus, sammelte er seine Jünger, Anhänger und Neugierige und ging mit ihnen auf einen Berg. Er riss die Leute also buchstäblich aus ihrem Alltag heraus. Sie sollten eine neue Perspektive auf ihr Leben und auf Gott bekommen. Auf die Möbel bezogen: Sie sollten ihre Möbel in einem anderen Licht sehen und die abgestoßenen Kanten und Wasserflecken auf dem Holz wahrnehmen.

So hielt Jesus auf dem Berg eine Motivationsrede, in der er den Blick der Leute auf die Hyazinthen hinter dem Zaun lenkte.

Matthäus 5,1-10
Glückselig sind die, die wissen, dass sie vor Gott arm sind. 
  Denn ihnen gehört das Himmelreich.
Glückselig sind die, die an der Not der Welt leiden.
  Denn sie werden getröstet werden.
Glückselig sind die, die von Herzen freundlich sind.
  Denn sie werden die Erde als Erbe erhalten.
Glückselig sind die, die hungern und dürsten nach der
  Gerechtigkeit.
  Denn sie werden satt werden.
Glückselig sind die, die barmherzig sind.
  Denn sie werden barmherzig behandelt werden.
Glückselig sind die, die ein reines Herz haben.
  Denn sie werden Gott sehen.
Glückselig sind die, die Frieden stiften.
  Denn sie werden Kinder Gottes heißen.
Glückselig sind die, die verfolgt werden, 
  weil sie tun, was Gott will.
  Denn ihnen gehört das Himmelreich.

Jesus spricht hier etwas an, das in unserem Inneren vielleicht tief verborgen und verschüttet ist, die Sehnsucht nach Glück, Seligkeit, weg von allem Ballast und allen Zwängen, frei von Sorgen, wie ein Vogel, der dem Licht entgegenfliegt.

Der Betteljunge, der in seinem tristen, entbehrungsreichen Alltag auf dem kalten Boden saß und seinen leeren Becher den Passanten entgegenstreckte, muss empfunden haben, dass es im Leben mehr gibt. Auch für jemand, der in der Tretmühle des Alltags gefangen ist und einen Tag nach dem anderen abspult, muss es mehr im Leben geben. Die Frau, die Angst vor dem Morgen und keine Idee hat, wie man aus dieser Angst herauskommt, das Paar, dass sich nicht gut tut, sich unverstanden und ungeliebt fühlt und sich wie aneinander gekettet empfindet, sie alle stecken fest und hoffen auf Perspektiven für mehr Lebensqualität.

Dieses Mehr bietet Jesus an. Er malt das Himmelreich vor Augen, das Paradies. Der Zugang zum blühenden Garten kann aber nicht erschlichen werden, es gibt keine Hintertür, die nur angelehnt ist. Die Tür ist fest verschlossen. Manche meinen, dass Jesus die Menschen auf ein Jenseits vertröstet. Erst nach dem Tod wird das Tor geöffnet, bis dahin muss man im Elend aushalten. Doch Jesus schließt die Tür schon jetzt auf, er bietet uns an, mit ihm zusammen den Garten zu betreten, die Hyazinthen zu pflücken, das Himmelreich in den Alltag mitzunehmen.

Kriterien, um mit Jesus das „Mehr“ an Leben zu entdecken
Glücklickselig sind die, die arm in der Beziehung zu Gott sind. Diese Aussage kann als Überschrift aller Seligpreisungen Jesu verstanden werden. Denn wer wie der Betteljunge mit leeren Händen zu Gott kommt, der kann sich von ihm etwas Neues, eine neue Grundhaltung zum Leben schenken lassen. 

Arm war der Betteljunge. Sein Mangel brachte ihn dazu, die Blumen hinter dem Zaun als etwas Besonderes wahrzunehmen. Wer arm ist, hat das Bedürfnis, etwas zu ändern. Wer leere Hände und Taschen hat, kann sie mit Neuem füllen. Nur wer keine Möbel hat, braucht Möbelkataloge.

Jesus sieht die Menschenmenge auf dem Berg, und er sieht weiter bis zu uns. Nicht alle waren damals wirtschaftlich arm, und nicht alle sind hier arm, wir haben ein Dach über dem Kopf, viele haben Verwandte in der Nähe, wir haben Freunde. Aber damals und heute gibt es viel Armut in unserer Beziehung zu Gott. 

  • Armut zeigt sich in mangelndem Vertrauen: Wenn ich mir nicht helfen kann, dann kann es keiner. Wenn ich falle, wird mich keiner auffangen.
  • Sie äußert sich in Einsamkeit. Einsam kann man auch in großen Menschenmengen sein. Einsam bleibt mancher, obwohl er in einer Beziehung lebt. Einsam sind wir, wenn wir unser Herz nicht öffnen können, uns niemand zuhört, wir mit unseren Lebensängsten und -fragen allein bleiben.  Auch in der Gemeinde können wir einsam bleiben, wenn wir unser Herz nicht voreinander öffnen wollen, auch da, wo wir eigentlich dringend Hilfe brauchen.
  • Armut Gott gegenüber macht sich in einer Härte des Herzens bemerkbar. Das Leid der anderen berührt nicht, man macht Handyaufnahmen an Unfallorten und weidet sich am Elend des Anderen. 
  • Geistliche Armut wird sichtbar im Messen mit zweierlei Maß: „Für mich ist das Beste gerade gut genug, für dich reicht der Rest.“
Ein weiches Herz
So ganz frei kann sich von dieser Armut in Bezug auf Gott wohl niemand machen. Ich schaue in den Spiegel und entdecke an mir Seiten, die nicht von Gottes Liebe durchdrungen sind. Mit dieser Armut muss ich nicht allein bleiben, sondern kann zu Jesus kommen. Er öffnet die Tür zum Garten. Die Hyazinthen des Himmelreichs sind laut Jesu Seligpreisungen, ein weiches Herz zu bekommen. Weich für Notleidende, weich für Ungerechtigkeit, weich für Unbarmherzigkeit, weich für Kriegsfolgen. Ein weiches Herz ist formbar. Jesus kann es in seine Hand nehmen und ihm seine Gestalt geben: freundlich, barmherzig, rein und voller Frieden.

Menschen, die ein weiches Herz haben, sind empfänglich für Gottes Trost, sie bekommen seine Zuneigung und Unterstützung, ihre Wege werden begleitet, und sie erfahren Gottes Gegenwart im Alltag. Sie entdecken Gestaltungsspielraum. Sie sind nicht mehr in ihrer Armut gefangen, sondern können den Garten Gottes nutzen. Sie sind nicht Bettler vor der Tür, sondern Kinder Gottes, die im Himmelreich zu Hause sind.

Jesus wollte mit seiner Rede motivieren. Er wollte Menschen dazu bringen, den Blick auf das Himmelreich hinter dem Gitterzaun zu richten. Er wollte ihnen anbieten, sie mitzunehmen und sich von ihm verändern zu lassen.

Wiederentdeckung
Vielleicht haben wir uns längst auf diese Motivationsrede eingelassen, sind schon lange mit Jesus unterwegs, gehen im Hyazinthenfeld tagein tagaus spazieren. Dann haben wir uns an die Pracht und den Duft schon gewöhnt, es ist nichts Besonderes mehr.

Mag sein, es hilft, mal wieder einen Schritt vor den Zaun zu setzen und wahrzunehmen, wie die Welt ohne die Wegbegleitung Jesu ist. Eine große Dankbarkeit für das, was wir haben, wird uns erfüllen. Vielleicht auch der Wunsch, dass unser ein bisschen fest gewordenes Herz wieder weich wird und wir Jesus wieder deutlicher spüren.

Wir sind glückselig, weil wir zu Jesus mit leeren Händen kommen dürfen und er sie uns füllt. Auch wenn das Himmelreich uns auf ungewisse Wege  lockt und wir nicht immer sicher sein können, was uns auf unserem Weg da erwartet – Jesus spricht auch von Verfolgungen, dürfen wir auf der anderen Seite des Zauns leben, wo unser Herz von Jesus berührt und geformt wird. Die Erfahrungen, die wir mit ihm machen, mögen für Außenstehende aussehen wie unnötige Hyazinthen für leere Mägen, aber wir wissen, es sind Erfahrungen, die uns mit Gott verbinden und unserem Leben Grundlage, Richtung und Ziel geben.

Glückselig sind die, die wissen, dass sie vor Gott arm sind. 
Denn ihnen gehört das Himmelreich.

Cornelia Trick


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